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Amazonas Abenteuer: Der wahre Robinson

Der Amazonas-Dschungel ist sein Zuhause, Boas und Kaimane sind seine Haustiere, die Machete seine Lebensversicherung: Robinson Santos da Silva (33) kann über das Dschungelcamp nur lachen. Denn das, was für Promis im TV eine zweiwöchige Hölle ist, ist für Robinson Heimat und die große Liebe. 

Robinson Santos da Silva ist Guide am Amazonas und weiß, wie man im Urwald überleben kann
Robinson Santos da Silva ist Guide am Amazonas und weiß, wie man im Urwald überleben kann

Auf einmal macht es Platsch und Robinson ist über Bord. Wir sehen nichts. Es ist rabenschwarz in dieser Nacht im November mitten im Regenwald Brasiliens. Das Motorengeräusch unseres Motorkanus ist verstummt, wir vernehmen in der Ferne ein Fauchen, hinter uns steigen kreischend ein paar Reiher in die Luft. Robinson watet durchs Wasser des Rio Tupana, einem Seitenarm des Amazonas, dem längsten und wasserreichsten Fluss der Welt. An seinen Füßen ein Paar orangefarbene Flip Flops, seine Waden sind nackt. Wir halten den Atem an und denken an die Piranhas, Anacondas und Kaimane, für die der Amazonas berühmt und berüchtigt ist, und die überall in dieser schwarzen Suppe lauern können. Doch Robinson schreitet durchs Wasser als wäre es die harmlose Ostsee. Plötzlich flackert seine Taschenlampe auf, mit der er das Ufer ableuchtet und langsam seine Schritte beschleunigt. Wir, die Touristen, treiben fassungslos und erschrocken mit dem kleinen Boot auf dem Fluss und blicken unserem Guide nach, der kurz darauf hinter der nächsten Biegung verschwindet und uns alleine auf dem Wasser treiben lässt.

 

Was passiert, wenn er nicht mehr zurück kommt? Wie finden wir in der Dunkelheit zur Lodge zurück? Was ist, wenn plötzlich eines der gefährlichen Tiere angreift, die es im brasilianischen Regenwald in nicht wirklich geringer Stückzahl gibt? 

 

Das Aufatmen der Touristen ist deutlich zu vernehmen, als wir nach etwa zehn Minuten einen kleinen Lichtstrahl in der Ferne erblicken. Das Leuchten nähert sich unserem Boot und mit ihm kommt das Sicherheitsgefühl zurück. Als Robinson das Kanu erreicht, hält er einer polnischen Teenagerin, die sich fürchterlich erschrickt und kreischt, fünf Babykaimane vors Gesicht. Der 33-Jährige lacht laut und drückt ihr ein Mini-Krokodil in die Hand, das sie fest gepackt anschaut, als wäre es ein Alien. "Ich beobachte dieses Kaiman-Nest schon seit ein paar Wochen", erzählt Robinson stolz in gutem Englisch, das ihm sein Vater beibrachte. "Die Mutter verlässt das Nest, sobald die Babys geschlüpft sind. Keiner muss befürchten von einem aufgebrachten Muttertier attackiert zu werden". 

 

Die kleine Info hätte uns vor seinem Verschwinden mehr genutzt, wir hätten uns die zehn Minuten Mulmigkeit und Über-den-Tod-durch-gefährliches-Tier-Nachdenken erspart. Aber Robinson hat es bewusst nicht gemacht. Er nennt das den Überraschungseffekt mit pädagogischem Hintergrund. „Die Touristen sollen die Natur nicht unterschätzen. Es wird nichts passieren, aber man sollte immer aufpassen, was man tut und wo man hintritt. Die Natur ist immer stärker.“

Bäume im Wasser am Amazonas
Bäume im Wasser am Amazonas
Guide Robinson auf der Suche nach Kaimanen
Guide Robinson auf der Suche nach Kaimanen

Er muss es wissen, denn Robinson verbringt schon sein ganzes Leben im Urwald Brasiliens. Aufgewachsen in Manaus, der vier Millionen Stadt, wo Rio Negro und Rio Solimões zusammenfließen und ein einzigartiges Naturschauspiel aus sich vereinendem schwarzen und roten Wasser bieten, lebt Robinson auch heute noch dort. Doch nur für etwa zehn Tage im Monat. Die übrige Zeit arbeitet er als Guide mitten im urbanen Nichts, in der Amazonas Tupana Lodge, einem Rückzugsort für Touristen, die von Yoga und Ashram nichts halten, stattdessen das Abendteuer und wilde Tiere suchen. 

 

Robinson lebt in einem kleinen Zimmer, das komplett aus Holz ist. Der Boden, die Wände. Darin steht ein einfaches Bett, eine kleine Kommode, das Badezimmer hat Klo, Dusche und manchmal einen frechen Frosch, der sich durch die Leitungen gekämpft hat und einem - sobald das Licht angeht - entgegenhüpft. Das Wasser wird aus dem Fluss gepumpt und ist kalt, was bei bis zu 35 Grad im Schatten durchaus kein Übel ist. Strom gibt es mittags von 12 bis 15 Uhr und ab 18 Uhr die ganze Nacht bis morgens um 8 Uhr. So kann man den Ventilator betreiben, der etwas Luft aufwirbelt und sein Handy laden. Doch wer hier telefonieren oder im Netz surfen willl, hat Pech. Die Lodge ist abgeschnitten von der modernen-Welt. 

 

Zusammenfluss von Rio Negro und Rio Solimões bei Manaus in Brasilien
Zusammenfluss von Rio Negro und Rio Solimões bei Manaus in Brasilien

Robinson muss lachen, wenn sich ein Tourist aufregt über den nicht vorhandenen Empfang. „Was erwarten die Menschen denn, wenn sie in den Urwald kommen? Dass hier überall Computer rumstehen und in jedem Zimmer ein Fernseher angebracht ist?“ Er versteht es nicht, warum es Menschen gibt, die anstatt die Natur anzuschauen lieber ständig in den flimmernden Miniapparat blicken. „Das Grün, die versteckten Tiere, die Farben des Dschungels und Mutter Erde, die uns alles, was wir brauchen, gibt. Das ist es doch, was zählt“, sagt er auf einem Urwald-Ausflug, auf dem er uns zeigt, wie man Giftpfeile herstellt, mit Palmen Steigeisen formt, sich mit Mini-Ameisen gegen Mückenstiche schützt und Maden als wertvolle Proteinquellen findet. 

 

 

Er kann locker im Dschungel überleben. „Nur einem Jaguar möchte ich nicht unbedingt begegnen“, sagt er. „Ich habe mal einen gesehen, das ist sehr beeindruckend.“ Und eine Anaconda, die berühmte Riesenschlange, die bereits Hauptdarstellerin in zahlreichen Horrormovies war? „Nein, diese hübsche Anna, Annaconda“, wie er immer zu ihr sagt, „habe er noch nicht persönlich kennen gelernt“. Die Schlange sei so scheu und selten, dass man sich wundert, wie Tierfilmer sie überhaupt zu Gesicht bekommen können.  

Als wir das Thema gerade wechseln wollen, sichten wir eine Boa auf dem Waldboden. Ihre Tarnung ist genial, sie erinnert an verwelktes Laub und ist kaum zu sehen. Doch das drei Meter lange Tier hat sich kurz bewegt und damit unsere Aufmerksamkeit bekommen. Wunderschön ist sie und man sieht, wenn man Robinsons Blick beobachtet, wie begeistert er von seiner Arbeit ist. Jeden Tag aufs Neue. Er filmt die Schlange, folgt ihr als sie von unserem Angestarre genervt, langsam wegkriecht. Robinson hat auf seinem Handy zig Filme gespeichert, die er stolz und niemals müde den Touristen vorführt. 

 

Kaimane, die am Ufer liegen und mit einem Sprung ins Wasser flüchten. Rosa Flussdelfine, die wie berauscht den Paarungstanz vollführen, Tukane und bunte Reiher, die sich von den Bäumen in die Luft schwingen und dabei ihre typischen Laute von sich geben, die man im ganzen Wald hören kann. 

 

Robinsons Augen leuchten, wenn er von seinen Tierbeobachtungen erzählt. Hört ihm ein Tourist nicht zu und teilt seine Begeisterung nicht, wird er von ihm abgestraft. Für diesen Urlauber wird er kaum eine Extra-Runde auf dem Fluss drehen und einen seiner geheimen Plätze zeigen, wo man besonders gut nach Piranhas fischen, Delphine sehen oder sogar Jaguare spotten kann. Doch hört man ihm zu, schenkt man ihm ein offenes Ohr und zeigt, dass man Verständnis für die Natur, die Tiere und das Erbe der Erde hat, folgt die Belohnung prompt. 

Amazonas: Fischerin auf dem Tupana River in Brasilien
Amazonas: Fischerin auf dem Tupana River in Brasilien
Indigene Familie am Amazonas in Brasilien
Indigene Familie am Amazonas in Brasilien

Für mich bedeutet das den Besuch einer indigenen Familie, die eineinhalb Stunden mit dem Motorkanu flussaufwärts wohnt, ohne Strom und nur von dem Verkauf von Maniok und Ananas lebt. Robinson kennt seine Nachbarn, auch, wenn die mindestens 15 Minuten per Boot von der Lodge entfernt in einfachen Holzhütten leben.

 

„Die Leute brauchen kein Internet, keine modernen Geräte. Sie kennen das nicht. Und sind trotzdem glücklich“. Er geht voran, den Berg hinauf, begrüßt die gesamte Familie, stellt sie uns vor. Die Großmutter bietet uns frischen Fisch und Tapioka-Fladen an, führt uns dann über die Ananas-Plantage, zeigt ihren Sternfruchtbaum und freut sich über die leuchtenden Augen, die begeistert an ihren Lippen kleben, obwohl wir kein Wort Portugiesisch verstehen. Robinson übersetzt und wird von der Familie behandelt wie ein verlorener Sohn, der mal wieder heimgekehrt ist. Er hat dieses Lächeln, dieses Freundliche in seiner Gestik und Mimik, das nur wenige Menschen ihr Eigen nennen dürfen.

Eine eigene Familie hat Robinosn bisher nicht. „Es ist schwer, eine Beziehung aufzubauen, wenn du immer weg bist“, sagt er und seine Fröhlichkeit bekommt einen Überzug aus Schwermut. „Ich will spätestens in fünf Jahren mein eigenes Unternehmen gründen, nur noch ab und zu als Guide arbeiten und lieber verschiedene Guides managen. Dann kann ich mir meine Zukunft in der Stadt aufbauen.“

 

Wird er den Urwald und die freudigen, interessierten, staunenden und manchmal auch erschrockenen Touristen nicht vermissen? „Doch, aber ich kann ja immer wieder zurück kommen, mir selbst ein Bild von meinen Guides machen und ihnen zeigen, wie ein guter Touristenführer im Dschungel arbeitet. Wenn dann meine Frau und meine Kinder an meiner Seite sind, wir in den Urwald gehen und gemeinsam die Natur spüren, dann habe ich im Leben alles richtig gemacht.“



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